Der Lehrer stört

Untersuchungen zum lehrerseitigen Unterstützungsverhalten in offenen Unterrichtsphasen. Ein Projekt von Professor Dr. Jens Siemon, Universität Hamburg, Deutschland.

Das Projekt

Die Rolle von Lehrern hat sich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr vom Wissensvermittler zum Begleiter von selbstorganisierten, lernenden Schülern gewandelt. 

Diverse Studien zeigen, dass der Anteil von schülerzentrierten Lernphasen, in denen der Lehrer die Schüler in Einzel- oder Gruppengesprächen unterstützt, je nach Schulform im Mittel zwischen 40% und 80% liegt. Während die lehrerzentrierten Phasen bereits gut untersucht sind, sind die offenen Phasen im realen Umfeld in der Schule bisher kaum betrachtet worden. 

Dies liegt vor allem daran, dass jede direkte Beobachtung der Unterstützung allein schon durch die Anwesenheit von Personen oder Kameras so stark beeinflusst wird, dass kaum eine sinnvolle Aussage darüber getroffen werden kann.

Die Herausforderung

Wie können individuelle Unterstützungssituationen in offenen Phasen des Unterrichts von Lehrern für Schüler so beobachtet werden, dass der Einfluss durch die Beobachtung minimiert wird, und wie können die Effekte der Unterstützung gemessen werden?

Untersuchungsdesign

Beobachtet wurden 85 Unterrichte an Schulen unterschiedlichster beruflicher Fachrichtungen mit einer durchschnittlichen Dauer von 74 Minuten. Dabei wurden je nach Unterrichtsraum zwischen drei und sechs HD-Kameras so im Unterrichtsraum positioniert, dass jeder Schüler zumindest von zwei Perspektiven aus beobachtet werden konnte. 

Zudem erhielt jeder Schüler und Lehrer ein Diktiergerät, welches mit einem Band um den Hals befestigt wurde. Die Aufnahmen wurden zunächst lokal im Aufnahmegerät gespeichert und nachträglich in der Software Mangold INTERACT zusammengeführt sowie synchronisiert. 

Zum Einsatz kam vor Beginn des Unterrichts, nach dem Einschalten aller Aufnahmegeräte, eine klassische Filmklappe, so dass die Audio- und Videosignale einen einheitlichen Synchronisationspunkt aufwiesen.

Instrumente

Basierend auf Theorien zur Lernzeitnutzung sowie zum Lehrerunterstützungsverhalten wurden für diese Untersuchung drei Kodiermanuale entwickelt und hinsichtlich der Reliabilität geprüft.

Für die Lernzeitnutzung wurde lediglich ein Merkmal erhoben. Dieses gab an, ob sich der Schüler gerade mit der gestellten Aufgabe beschäftigte, ob er organisatorische Dinge erledigte, oder ob er gerade keine auf den Unterricht bezogene Aktivitäten ausführte. In letzterem Fall wurde noch unterschieden, ob er mit der Lernaufgabe fertig war, und dann ja durchaus berechtigt keine weiteren Lernaktivitäten ausübte, oder ob er während der Bearbeitungszeit von Lernaufgaben private Tätigkeiten ausübte. Nach Versuchen hinsichtlich des Aufwands der Kodierung bei gleichzeitiger Beachtung der Intercoderreliabilität entschieden wir uns für ein time-sampling mit Einheiten von 10 Sekunden Dauer. Insgesamt wurden so 286.817 Einzelbeobachtungen des Schülerverhaltens kodiert. Aufgrund der geringen Interpretationsmöglichkeiten seitens der Kodierer lag hier die Intercoderreliabilität (Kappa) immer über 0.9.

Zur Erfassung des Lehrerunterstützungsverhaltens wurde zunächst das gesamte Event einer Unterstützung mittels event-sampling beschrieben. Erfasst wurde u.a. von wem das Unterstützungsevent ausging, sowie an wen sich die Unterstützung richtete. Zudem wurde für jede Unterstützung festgehalten, aus welchen Einzelaktivitäten eine Unterstützung bestand. Unterschieden wurden hier u.a. Erklärungen, Steuerungen des Lernhandelns, motivierendes Lehrerhandeln, Dialoge auf Augenhöhe, Erklärungen des Sinns der Aufgabe und diagnostische Aktivitäten.

Da hier sowohl die kodierten Zeiten als auch die Interpretation der jeweiligen Handlung des Lehrers variieren konnten, und somit der Interpretationsspielraum recht groß war, wurde ein Training der Kodierer eingeführt. Echte Kodierungen durften erst durchgeführt werden, wenn das Training und ein darauf basierender Test erfolgreich absolviert wurden. Im Anschluss konnte die Intercoderreliabilität (Kappa) auf einen Wert von über 0.6 (befriedigend) gesteigert werden. Insgesamt konnten 860 Unterstützungshandlungen mit 4.973 Teilaktivitäten beobachtet werden.

Ergebnisse

Basierend auf einer Clusteranalyse (Ward) lassen sich vier unterschiedliche Typen von Lehrern basierend auf ihrem Unterstützungsverhalten unterscheiden. Man könnte diese (vorläufig) als „Inhaltsvermittler“, „Schülerversteher“, „Kontrollfreaks“ und „Verschlossene“ bezeichnen.

Betrachtet man nun die Effekte der Unterstützungshandlungen im Einzelnen, so können positive aber auch deutlich negative Effekte hinsichtlich der Lernzeitnutzung der Schüler erkannt werden. Von besonderem Interesse ist, dass keiner der Lehrertypen ein durchgängig positives oder negatives Verhalten zeigt. 

Nach Abschluss der Untersuchung und Publikation der Ergebnisse werden diese mit großer Wahrscheinlichkeit in die zukünftige Ausbildung von Lehrern einfließen.

Datenerfassung

Für das beschriebene Untersuchungsdesign ist das Softwarepaket Mangold INTERACT nach unserer Auffassung deutlich geeignetste Werkzeug. Dies beginnt bereits mit der besonderen Form der Datenaufzeichnung, die im realen Kontext von Schulen und Klassenräumen (ohne Laborbedingungen) stattfindet. 

Die Möglichkeit der nachträglichen Synchronisation und parallelen, zu- und abschaltbaren Quellen für die Beobachtung und Kodierung (bis zu sechs HD-Videospuren und bis zu 30 Tonspuren, wobei nie alle gleichzeitig laufen) hat unser Forschungsdesign überhaupt erst ermöglicht.

Entwicklung von Kodiermanualen

Jedes der Kodiermanuale durchlief in der Entwicklung mehrere Iterationen. Dabei wurde immer wieder geprüft, welche Interpretationsspielräume noch gegeben waren, welche eliminiert werden sollten. 

Die Prüfung der Interkoderreliabilität sowie die Visualisierungsmöglichkeiten von Abweichungen zwischen den Kodierungen gleicher Aufzeichnungen leistete hierbei eine große Unterstützung.

Kodierung

In das Kodieren des Datenmaterials waren eine Vielzahl von Studierenden eingebunden, die ihre Bachelor- und Masterarbeiten basierend auf Beobachtungen jeweils mehrerer Unterrichte und spezifischen Vergleichen sowie deskriptiven Auswertungen verfassten. 

Die Einarbeitung in die Software Mangold INTERACT verlief, unterstützt durch ein Team von Tutorinnen und Tutoren, ohne jegliche Probleme. Die Kodierungen konnten jeweils stichprobenartig durch die Betrachtungen von Kodierungen gleicher Unterrichte kontinuierlich qualitätsgesichert werden. 

Die Zusammenführung der Datensätze wurde durch die umfassenden Exportfunktionen der Software sehr gut unterstützt.

The training inwas supported by a team of tutors and carried out flawlessly. The quality of the codings was assured by randomly comparing different codings of the same lesson. The aggregation of data was very well supported by the export functions of the software.

Auswertung

Mangold INTERACT provides comprehensive evaluation features, which are available for diverse applications. It was easy to export all data sets and import them into a relational database for the summary analysis. From there, they can easily be processed further for statistical analysis, in our case with SPSS by IBM.

Support

Es kommt immer einmal vor, dass wir uns die Frage stellen, ob wohl eine bestimmte Fragestellung oder eine spezifische Zusammenstellung von Daten mit der Software möglich ist. Mitarbeiter wenden sich dann gern an das kompetente Team von Mangold, die zum einen ein offenes Ohr für neue Fragestellungen haben, und immer mit guten Ratschlägen oder Verfahrensweisen zur Seite stehen. 

So konnten immer wieder Probleme gelöst werden, die ansonsten zu einer Einstellung des Forschungsinteresses geführt hätten. Insbesondere in der noch andauernden Zeit der Pandemie hat uns Mangold ein reibungsloses Weiterarbeiten an unseren Fragestellungen ermöglicht, obwohl dies über die erworbenen Lizenzen nicht abgedeckt gewesen wäre. Die dadurch gezeigte Flexibilität und das Entgegenkommen des Unternehmens Mangold sucht ihresgleichen.

Persönliches Feedback

Als Leiter eines Teams aus wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeitern sowie als Betreuer von jährlich etwa 20 bis 30 Masterarbeiten liefert mir Mangold INTERACT eine Unterstützung, die ihresgleichen sucht. Über alle Phasen des Forschungsprozesses erfüllen die Funktionen der Software meine Erwartungen und gehen häufig darüber hinaus. 

Teilweise wurden Fragestellungen und deren Beantwortung durch noch unentdeckte Funktionen der Software sogar inspiriert, die dann auf der Basis des bereits vorhandenen Datenmaterials beantwortet werden konnten. 

Wir stehen jetzt kurz vor der Veröffentlichung unserer Forschungsergebnisse und erwarten, auch aufgrund der Nutzung der durch Mangold INTERACT erst möglichen Verfahren eine große Resonanz in der wissenschaftlichen Community. 

Für zukünftige Forschungsprojekte würde ich jederzeit wieder auf die Software zurückgreifen.

Professor Dr. Jens Siemon, Universität Hamburg

Fakultät für Erziehungswissenschaft

Fachbereich Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen

Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Sedanstraße 19, 20146 Hamburg, Germany

Phone: +49 40 42838-3738

http://jens-siemon.de/